Satiren

Das Stück

 

Mit Theaterstücken verhält es sich wie mit Liebhaberinnen. Manche sind auf den ersten Blick elektrisierend, kokettieren mit ihren Reizen und versprechen ungeahnte Möglichkeiten. Solche Lieben auf den ersten Blick können aber auch oft tückisch werden. Am Ende stehst Du dann enttäuscht vor einem faden Einheitsbrei und weiß nicht so recht, wo und wann Du da zum Höhepunkt kommen sollst. Da strampelst Du Dich dann ab mit abstrakten Räumen, Lichtvorhöfen und chorischem Stöhnen. Versuchst es noch mit ein paar Verfremdungen, einem kleinen dramaturgischen Kniff, ja am Ende sogar mit choreografischen Einlagen.

Aber alle Versuche sind vergeblich. Dem Stück ist kein Drama abzugewinnen. Und nicht nur das. Mittlerweile fragt sich sogar der letzte Depp der Laienspielschar, was der ganze Scheiß eigentlich soll. „Das ist Kunst“ hilft da auch nicht mehr weiter. Die Lebedame verreckt bereits im ersten Akt, das Ensemble stolpert sich durch die Kulisse und die Inszenierung wird zur Folterkammer des Grauens. Von wegen prickelnd, zündend und gehaltvoll. Da kann auch der letzte Griff in die Regie-Trickkiste nichts mehr bewirken. Aber so ist das mit der rosaroten Brille der Verliebten. Du siehst mehr Schein als Sein. Fällst auf die Verpackung rein und beklagst Dich über mangelnde innere Werte. Und du fragst dich leider zu spät, was der Autor mit dem Text eigentlich sagen wollte. Oder die Autorin. Auch egal. Die Eintrittskarten sind gedruckt, die Plakate auch und die Kritik freut bereits sich auf ein Schlachtfeld. Da hilft nur noch die Presseeinladung mit dem dicken fetten Vermerk. „ACHTUNG; ACHTUNG! Das ist ein T H E A T E R P Ä D A D O G I S C H E S Projekt!“ Das hilft nicht immer, aber manchmal. Jedenfalls beim ersten Mal. Danach musst du die Stadt wechseln. Oder doch das Stück. Oder besser die Dramaturgin, die dieses Stück ausgewählt hat. Falls Du das selbst warst:

Dumm gelaufen!

Andere wiederum kommen fade daher und Du gibst ihnen nur eine Chance, weil mal gerade nichts Besseres zur Hand war, oder die Besetzungscouch nur diese Damen zuließ. Oder weil die Deko vom letzten Mal noch passt, die Zuschüsse nicht bewilligt wurden und der Verlag die andere nicht freigab. Eines von dem trifft immer zu, manchmal vieles, meistens jedoch alles.

Im schlimmsten Fall allerdings war die Wahl keine Wahl, und erst recht nicht deine eigene und von Freiwilligkeit mal ganz zu schweigen. Nein, im allerschlimmsten aller Fälle war das Stück ein „Herzenswunsch“ von oben. Von ganz oben. Von der Intendanz. Oder von der Kulturdezernentin. Oder vom Gatten der Kulturdezernentin. Diesem Herrn Karl-Heinz von und zu. Der sitzt im Sparkassenvorstand, ist Schützenkönig bei Blauweissdeppendorf und kennt einen, der einen kennt, dessen Frau dem Kassenwart vom Rotarier Club einmal im Monat die Füße pflegt. Gaaaaaanz wichtiger Mann. Hat Kontakte. Zum Geld. Muss man sich warm halten. Kommt zu jeder Premiere. Immer. Und immer erste Reihe. Und immer in der ersten Reihe mittendrin. Klatscht laut, lacht laut und stinkt. Riechste bis auf die Rampe. Obwohl, Geld soll ja eigentlich nicht stinken. Auch egal. Ist ja auch unser Publikum. Für die machen wir es doch. Oder? Eben. Und ist ja mal was anderes. Hat ja auch seinen Reiz. So ein kleiner Schwank. Mal was für den Boulevard. Die Leute dürfen sich doch auch amüsieren dürfen bei uns. Oder? Ist doch auch Kunst, die Leute zum Lachen zu bringen. Also mach was Schönes draus. Ich verlass mich auf Dich. Bist ein Schatz. Küsschen.

Tja, was soll ich sagen? Shit happens. Aber du machst das Beste draus. Nimmst die Herausforderung an. Setzt alles auf eine Karte. Dein Hirn zündet und spuckt ein Feuerwerk an Einfällen aus. Das Ensemble lässt sich mitreißen. Plötzlich ist alles da. Wie aus einem Guss. Wenn Schwank, dann schwankend. Wie ein angeschlagener Kahn. Ein Schwank auf schwankendem Schiff, eine Schiffsladung voll Heiterkeit, führerlos auf offener See. Oben Sonne, Strand und Aida und unten die prekäre Malocherschicht. Moderne Lohnsklaven knapp über der Armutsgrenze servieren dem Vorstandsortverein Börsenkurse und Provisionen. Gewerkschaftsführer nutteln über die Bühne und lassen sich von Karl-Heinz den Marsch blasen. Tralla und hoppsa. „Eins vor und zwei zurück. Ihr seid arm und ich hab Glück.“ „Und jetzt alle: Vorwärts und nicht vergessen worin unsre Stärke besteht, beim Feiern und beim Fressen, vorwärts und nicht vergessen, das Ak-ti-e-n-pa-ket!“. Die Kolleginnen sind begeistert, das Publikum steht Kopf und die Presse rastet förmlich aus. Seite 1 der Aufmacher „Skandal! Karl-Heinz droht mit Theaterschließung. „ Seite 2 Bericht und Hintergrund: „Unglaublich! Kulturdezernentin lässt sich scheiden.“ Seite 3: Der Kommentar „Unerhört! Fußpflegerin in den Dreck gezogen!“ Seite 4: Feuilleton „Es lebe die Kunst! Aber wer war das Schiff?“ Seite 12: Stellenmarkt: „Theaterpädagogin sucht neuen Wirkungskreis.“

Aus der Diplomarbeit Theaterpädagogik “Über die Kunst des Scheiterns”
Dinslaken, Januar 2011

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